Unter Compliance-Managern gilt der alte Spruch: „Wer denkt, dass Compliance teuer ist, sollte es einmal mit Non-Compliance probieren…“. Ein in Compliance-Angelegenheiten zu risikofreudiges Unternehmen muss mitunter erst schmerzhaft der realen Verhältnisse und des Wertes von Compliance gewahr werden.
Das Bundesjustizministerin (BMJV) hat am 22. April 2020 den geänderten Gesetzentwurf für ein neues Sanktionsrecht für Unternehmen veröffentlicht. Im Rahmen des Entwurfs eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ wurde in dessen Artikel 1 der Entwurf eines „Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ neu gefasst. Das sogenannte Verbandssanktionsgesetz (VerSanG-E) könnte noch im Jahr 2020 in Kraft treten. Anwendbar wäre es allerdings erst nach einer zweijährigen Übergangs- und Anpassungszeit nach seinem Inkrafttreten auf danach begangene Verbandstaten. Wenn das VerSanG in der jetzigen Entwurfsform kommt, sollten Unternehmen meines Erachtens die verbleibende Zeit nutzen, um ihre jeweiligen Compliance Management Systeme (CMS) für einen zukünftig noch stärkeren Fokus darauf auszurichten.
Der Gesetzgeber vermeidet im Gesetzesentwurf (VerSanG-E) das Wort Strafe und Bußgeld und spricht stattdessen von Sanktion, bzw. Verbandssanktion und „Verbandstat“. Das VerSanG-E definiert die „Verbandstat“ in § 2 Abs. 1 Nr. 3 als:
„…eine Straftat, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte“.
I. Was ist die gesetzgeberische Intention?
Nach der Auffassung der Deutschen Bundesregierung ist das Compliance-Risiko für Unternehmen, im Falle von Verstößen gegen das deutsche Strafrecht dafür auch tatsächlich schmerzhaft sanktioniert zu werden, bisher ungleich verteilt. Dieses Ungleichgewicht begründet sich in der maximalen Höhe des Bußgeldes nach § 30 OWiG und der sehr unterschiedlichen Wirtschaftskraft von Unternehmen. Die Wirkung eines maximalen Bußgeldes nach § 30 OWiG von 10 MEUR bei vorsätzlichen Verstößen und 5 MEUR bei fahrlässigen Verstößen, wirkt gegenüber einem Unternehmen mit 20 MEUR Jahresumsatz abschreckend genug – nicht jedoch entsprechend abschreckend für einen Konzern mit Milliardenumsatz. Daraus können sich für kleinere Unternehmen Wettbewerbsnachteile ergeben. Deshalb wurden entsprechende Änderungsabsichten im Koalitionsvertrag verankert. Dies geschah insbesondere vor den Eindrücken der Dieselaffäre mit betrügerischer Abgassoftware und dem Cum-Ex-Skandal mit schwerem Steuerbetrug.
In den letzten Jahren wurden mehrere Vorschläge zur Reform der Sanktionierung von Verbänden präsentiert. Dazu gehört der von der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen 2013 vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden, der Gesetzgebungsvorschlag des Bundesverbands der Unternehmensjuristen von 2014 für eine Änderung der §§ 30, 130 OWiG, der Entwurf eines Gesetzes des Deutschen Instituts für Compliance von 2016 zur Schaffung von Anreizen für Compliance-Maßnahmen in Betrieben und Unternehmen, der Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes der Forschungsgruppe Verbandsstrafrecht von 2017 sowie die Frankfurter Thesen von Jahn, Schmitt-Leonardy und Schoop von 2018 zur Unternehmensverantwortung für Unternehmenskriminalität.
II. Wesentlicher Inhalt des VerSanG-E
Der Gesetzesentwurf soll die Ahndung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, wegen Straftaten ihrer Leitungspersonen und anderen Mitarbeiter aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht herauslösen und neu ordnen. Zugleich soll Behörden und Gerichten ein Instrumentarium zur Verfügung gestellt werden, mit dem diese angemessener, wirksamer und flexibler der Tat und ihren Ursachen Rechnung tragen können.
1. Neuordnung des verbandsbezogenen Sanktionsrechts
Durch die Schaffung der Verbandssanktion als eigenständige Sanktionsart und ihrer Regelung in einem neuen Gesetz (VerSanG), soll die Bedeutung der Sanktionierung von Verbänden verdeutlicht werden. Dazu werden vorhandene Elemente der Verbandsgeldbuße aufgegriffen und weiterentwickelt. Zentrale Begriffe des neuen Gesetzes (Verband, Leitungsperson und Verbandstat) werden in § 2 VerSanG definiert. Der Begriff des „Verbandes“ bestimmt den Kreis der tauglichen Adressaten der Verbandssanktion und deckt sich inhaltlich mit der Regelung des § 30 OWiG, wobei klargestellt wird, dass auch juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich sanktionsfähige Verbände sind. Der Begriff der „Leitungsperson“ entspricht dem Täter der Anknüpfungstat im Sinne des § 30 Absatz 1 OWiG. Die „Verbandstat“ entspricht der strafbaren Anknüpfungstat des § 30 Absatz 1 OWiG.
Die bisherige Funktion des § 30 OWiG übernimmt für Verbände, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, der neue § 3 VerSanG-E. Er sieht vor, dass wegen verbandsbezogenen Straftaten von Leitungspersonen sowie sonstiger Personen, die in Wahrnehmung der Aufgaben des Verbandes eine Verbandstat begehen, wenn eine Leitungsperson diese Straftat durch entsprechende Vorkehrungen hätte verhindern oder wesentlich erschweren können, Verbandssanktionen verhängt werden. Die Verbandssanktionen sind in den §§ 8 ff. VerSanG-E geregelt. Sie gehen über die Pflichtenmahnung der Geldbuße des Ordnungswidrigkeitenrechts hinaus, die als Reaktion gegenüber Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, auf verbandsbezogene Straftaten ihrer Leitungspersonen dem Gesetzgeber nicht mehr angemessen erscheint. Das VerSanG-E soll zudem mit § 2 Absatz 2 VerSanG-E eine Lücke bei der Ahndung von Auslandstaten schließen, die es bislang insbesondere multinationalen Konzernen mit Sitz in Deutschland ermöglichte, sich bei Auslandstaten durch den Einsatz ausländischer Mitarbeiter der Bebußung zu entziehen.
2. Das Sanktionsspektrum
Nach § 8 VerSanG-E sind Sanktionen (a) die Verbandsgeldsanktion und (b) die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt. Möglich ist zudem der Vorbehalt eines Teils der Verbandsgeldsanktion. Als weitere Folge (c) kann daneben nach § 14 VerSanG-E die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung angeordnet werden.
a) Höhe der Verbandsgeldsanktion
Im VerSanG-E ist die Verbandsgeldsanktion der Verbandsgeldbuße des § 30 OWiG nachgebildet. So sieht § 9 Absatz 1 VerSanG-E auch entsprechend dem geltenden Recht ein starres Höchstmaß vor, nach der Verbandsgeldbußen von bis zu zehn Millionen Euro verhängt werden können. Um aber im Sinne einer Belastungsgleichheit auch große Unternehmen und multinationale Konzerne empfindlich treffen zu können, ist für Unternehmen mit einem Konzernumsatz von mehr als hundert Millionen Euro eine umsatzbezogene Obergrenze von zehn Prozent des Jahresumsatzes vorgesehen. Für große Konzerne, wie z.B. deutsche Automobilhersteller, kann dies somit Verbandsgeldsanktionen im zweistelligen Milliardenbereich bedeuten.
Weiterhin unabhängig davon ist eine mögliche Gewinn-Abschöpfung von Umsätzen möglich, die parallel angeordnet werden kann bzw. muss, so wie es auch gegenüber VW im Abgasskandal erfolgte. Durch Gesetzesverstöße gemachte Geschäfte sollen sich auch weiterhin nicht lohnen. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte im Juni 2018 gegen VW ein Bußgeld wegen fahrlässiger Aufsichtspflichtverletzung in Höhe von einer Milliarde Euro verhängt. Dieser Betrag setzte sich aus „dem gesetzlichen Höchstmaß einer Ahndung“ in Höhe von fünf Millionen Euro sowie „einer Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile“ in Höhe von 995 Millionen Euro zusammen. Nach dem Entwurf des VerSanG würde VW mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr so „billig“ davonkommen. Ein zweistelliger Milliardenbetrag wäre demnach als Sanktion zur Ahndung möglich, zuzüglich der Abschöpfung von Gewinnen.
Der gesunde Menschenverstand legt nahe, dass diese enorme Summe an anderer Stelle im Unternehmen anschließend wieder eingespart werden muss. Mittelbar könnten so völlig unschuldige Personen, wie z.B. (ausländische) Tochterunternehmen, Mitarbeiter, Aktionäre, Lieferanten, Dienstleister, etc. dadurch konzernweit mitsanktioniert werden. Ggf. werden Mitarbeiter entlassen, Dividenden und Steuern fallen so aus, der Konsum geht zurück, Arbeitslosengeld muss gezahlt werden, etc. Das VerSanG-E ist meines Erachtens daher in einer sozialen Marktwirtschaft noch nicht zu Ende gedacht. Rechtlich betrachtet wirft die 10 % vom weltweiten Konzernumsatz-Regel Zweifel an ihrer Verhältnismäßigkeit auf, auch wenn bei der Sanktionsgeldbemessung solche Sachverhalte grundsätzlich zu berücksichtigen wären. Zudem ist sie europäisch nicht abgestimmt, was zukünftigen Wettbewerbsverzerrungen als Nährboden dienen könnte. Allein schon im Blick und Vergleich zur Europäischen Datenschutzgrundverordnung ist dieser deutsche Alleingang nicht nachvollziehbar. Das Strafrecht in der EU erfährt – obwohl die Gesetzgebungskompetenz noch weitgehend in nationaler Hand liegt – schon seit einiger Zeit eine Europäisierung. Vor dem Hintergrund in der EU global tätiger Konzerne sollte daher aus Wettbewerbsgründen eine EU Harmonisierung der wesentlichen Inhalte des VerSanG-E vor einer rein nationalen Umsetzung präferiert werden.
Im ersten Entwurf des VerSanG-E war als Ultima Ratio der Verbandssanktion noch die entschädigungslose Auflösung des Verbands vorgesehen. Die Herausnahme dieses Todesurteils für Verbände macht den Gesetzesentwurf sicherlich verhältnismäßiger aber noch nicht über alle wirtschaftspolitische und rechtliche Kritik an der Höhe der Verbandsgeldsanktion erhaben.
b) Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt
Der § 10 VerSanG-E eröffnet die Möglichkeit der Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt als milderes Mittel als die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion, wenn eine Verbandsgeldsanktion aufgrund besonderer Umstände nicht erforderlich ist, um zukünftige Verbandstaten zu vermeiden. Dies ist nach einer Gesamtwürdigung der Tat und ihrer Folgen abzuwägen, daher ob besondere Umstände vorliegen, die die Verhängung einer Verbandsgeldstrafe entbehrlich machen, und die Verhängung der Verbandsgeldsanktion auch nicht zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten ist. Die Verwarnung kann aber mit Auflagen und Weisungen verbunden werden. Die Regelung ist der Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB nachgebildet. Sie kann insbesondere Compliance-Maßnahmen Rechnung tragen, so dass Unternehmen sich z.B. verpflichten ihr CMS zukünftig sicherer zu machen. Das zuständige Gericht wird in der Praxis vermutlich kaum konkrete Compliance-Maßnahmen anordnen, sondern vielmehr allgemein gemäß § 13 Abs. 2 VerSanG-E die Bescheinigung einer sachkundigen Stelle als Nachweis für ein funktionsfähiges CMS verlangen. Umfang und Inhalt einer solchen Bescheinigung werden vom Gesetzesentwurf nicht näher geregelt und so darf darüber wild spekuliert werden.
So die Voraussetzungen des § 10 VerSanG-E nicht erfüllt sind, ermöglicht § 11 VerSanG-E eine flexible Lösung, indem bis zu 50 Prozent der Verbandsgeldsanktion vorbehalten werden können, wenn zu erwarten ist, dass dies ausreicht, um Verbandstaten in Zukunft zu vermeiden. Begleitend können wiederum Auflagen und Weisungen erteilt werden.
c) Öffentliche Bekanntmachung als Nebenfolge
Bei einer großen Anzahl von Geschädigten kann das Gericht zum Zwecke der Information dieser durch die Verbandstat geschädigten Personen die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung anordnen (§ 14 VerSanG-E). Die Veröffentlichung soll nach der Gesetzesbegründung den Verband nicht an den Pranger stellen, sondern es sollen die Verletzten über die für sie relevanten Tatsachen informiert werden, um gegebenenfalls über die Geltendmachung von Ansprüchen entscheiden zu können. De facto dürfte dies dennoch auch ein „naming and shaming“ durch die so veröffentlichten Informationen bedeuten.
3. Sanktionsmildernde internal investigations
Internal investigations (Verbandsinterne Untersuchungen) können nach dem VerSanG-E sanktionsmildernd berücksichtigt werden. Diese Möglichkeit wird sowohl für Untersuchungen eröffnet, die durch externe Beauftragte durchgeführt werden als auch für Untersuchungen, die durch das Unternehmen selbst durchgeführt werden. Die §§ 17 und 18 regeln Voraussetzungen und Umfang der Sanktionsmilderung. Auf der einen Seite verschafft dies mehr Rechtssicherheit für die Unternehmen und ihre Berater. Auf der anderen Seite sollen die wesentlichen Ergebnisse solcher internal investigations den Behörden aber auf dem „Silbertablett“ und mit maximaler Geschwindigkeit serviert werden, um so die gewünschte mildernde Wirkung zu entfalten. Ein solches Vorgehen wirft wiederum rechtstaatliche Bedenken an der Neuregelung auf. Die Kernaussage des § 17 VerSanG-E ist, dass sich Compliance und Kooperation mit den Verfolgungsbehörden lohnt. Die Regelung ist jedoch komplexer als sie auf den ersten Blick zu sein scheint und dürfte daher in der Praxis Anlass für unterschiedliche Interpretationen und Streitigkeiten geben. Die Quasi-Privatisierung der staatlichen Ermittlungsverfahren ist in dieser Form ein Novum. Damit einher geht die Trennung zwischen Verteidiger und der Person, die die internal investigations zu leiten hat. Aus Sicht der Verfolgungsbehörden mag dies sinnvoll sein. Aus Sicht der Verteidigung, des Unternehmens und weiterer Beschuldigter verkompliziert sich dadurch die Arbeit und Kommunikation zwischen allen Beteiligten.
Die Verankerung der Grundsätze eines fairen Verfahrens in den Voraussetzungen der Sanktionsmilderung schützt dagegen die Mitarbeiter des Unternehmens. Dennoch können Mitarbeiter im Falle von internal investigations leicht in eine Zwickmühle geraten. Verweigert ein Mitarbeiter die Aussage droht das Risiko einer Verdachtskündigung durch den Arbeitgeber. Macht ein Mitarbeiter Angaben zur Sache kann ihm dagegen ein Ermittlungsverfahren drohen. Wenn der sanktionsmildernde Erfolg einer internal investigation aufgrund der Aussage eines Mitarbeiters nicht eintritt, könnten zudem Schadenersatzansprüche gegen diesen Mitarbeiter bestehen. Bisher unklar sind auch mögliche datenschutzrechtliche Implikationen bei der Durchführung einer internal investigation.
Gleichzeitig wird durch die vorgesehene Änderung der StPO der Umfang zulässiger Beschlagnahmen festgelegt und das Verhältnis von § 97 StPO zu § 160a StPO klargestellt. Im Ergebnis folgt daraus aber ein verringerter Schutz von Beschuldigten gegenüber Beschlagnahmen, wenn die Dokumente nicht dem Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und dem Beschuldigten zuzuordnen sind. Dies wäre z.B. bei Voruntersuchungen des Anwalts zum Sachverhalt/Tathergang und seiner rechtlichen Bewertung in schriftlicher Form der Fall. Das besondere und zu schützende Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant beginnt und endet aber nicht an einem Schlagbaum, sondern hat fließend verlaufende Grenzen, die es rechtstaatlich zu berücksichtigen gilt. Gibt es z.B. vor einer Durchsuchung und vor der Beschuldigtenstellung ein vertrauliches Gespräch zwischen Anwalt und Mandant über möglicherweise begangene Rechtsverstöße, z.B. zu deren Aufklärung und Bewertung, gehört dessen schriftlich festgehaltener Inhalt meines Erachtens genauso unter den Schutz vor einer Beschlagnahme, wie die nach der Erlangung einer offiziellen Beschuldigtenstellung erlangten Informationen. Auch diese Änderung ist nicht mit den europäischen Nachbarn abgestimmt, stäche EU-weit hervor und führt so zu Ungleichbehandlungen und Wettbewerbsnachteilen in Deutschland.
4. Rechtsnachfolge und Ausfallhaftung
Zur Vermeidung von Umgehungsmöglichkeiten durch Herbeiführen eines Rechtsnachfolgetatbestandes sieht § 6 VerSanG-E im Hinblick auf die Verbandsgeldsanktion und die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt eine Rechtsnachfolgeregelung vor, die im Wesentlichen § 30 Absatz 2a OWiG entspricht.
Unabhängig davon, ist in § 7 VerSanG-E nach dem Vorbild von § 81a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) eine Regelung zur Ausfallhaftung vorgesehen, die eine Umgehung der Sanktionierung durch konzerninterne Umstrukturierung beziehungsweise Übertragung wesentlicher Wirtschaftsgüter auf einen anderen Verband, der die Tätigkeit im Wesentlichen fortsetzt, verhindern soll. Danach haften übergeordnete Unternehmen im Konzern in jedem Fall, wenn eine Verbandsgeldsanktion gegen die Tochtergesellschaft nicht mehr festgesetzt oder nicht vollständig vollstreckt werden kann, auch wenn das herrschende Unternehmen weder für die Verbandsstraftat noch für die Zahlungsunfähigkeit der Tochter eine Mitverantwortung trifft. Somit setzt sich der Entwurf über das Fundamentalprinzip des Konzernrechts hinweg, dass die Muttergesellschaft – jenseits von § 302 AktG – für Verbindlichkeiten von Tochtergesellschaften, bei denen kraft Rechtsform eine Haftung der Gesellschafter nicht besteht, nicht haftet.
5. Verfahren / Legalitätsprinzip
a) Zuständigkeit der Gerichte
Die erstinstanzliche Zuständigkeit für Verfahren nach dem VerSanG-E weist der Entwurf dem Schöffengericht beim Amtsgericht und dem Landgericht zu (§ 25 Satz 2 und § 74 Absatz 1 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes in Entwurfsfassung – GVG-E). Welches der beiden Gerichte im konkreten Fall zur Verhandlung und Entscheidung berufen ist, richtet sich nach der Straf- oder Sanktionserwartung. Der Einzel-Strafrichter beim Amtsgericht wird somit nicht mit der Verhängung einer Verbandssanktion befasst. Er wird damit von der zeitaufwändigen Beschäftigung mit komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten entlastet, die ein Verfahren nach dem VerSanG-E im Einzelfall mit sich bringen kann. Beim Landgericht ist die spezielle Strafkammer zuständig, die für die Verbandstat zuständig wäre (§ 74g GVG-E).
b) Zuständige Verfolgungsbehörde
Die Zuständigkeit für die Verfolgung richtet sich aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs ebenfalls nach der Verbandstat. Damit ist die Behörde zur Verfolgung berufen, die für die Verfolgung der Verbandstat zuständig ist. Dies ist grundsätzlich die Staatsanwaltschaft. Bei Steuerstraftaten ist nach § 386 der Abgabenordnung (AO) auch die Zuständigkeit der Finanzbehörde (z.B. Finanzamt, Hauptzollamt, Zollfahndung) gegeben. Für kartellrechtliche Verbandstaten sieht § 42 VerSanG-E eine zusätzliche Zuständigkeit der Kartellbehörden vor.
c) Entsprechende Geltung der StPO
Das Verfahren zur Verfolgung des Verbandes nach dem VerSanG-E richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Gesetzen über das Strafverfahren (§ 24 Absatz 1 VerSanG-E). Damit findet insbesondere die StPO Anwendung. Dies ist insofern sachgerecht, da die Sanktionierung des Verbandes an eine Straftat anknüpft und die Strafjustiz mit der Verfahrensordnung der StPO vertraut ist, was die Anwendung der materiellen Regelungen des VerSanG-E nach Auffassung des Gesetzgebers erleichtern wird. Damit ist es dann möglich, ein einheitliches Verfahren nach einer Prozessordnung gegen die natürliche Person und gegen den Verband zu führen (vgl. §§ 25 f. VerSanG-E).
Als konsequente Folge der entsprechenden Anwendbarkeit der StPO stellt § 27 VerSanG-E klar, dass der Verband im Verfahren die Stellung eines Beschuldigten hat. Der Verband ist also künftig, anders als in Ordnungswidrigkeitenverfahren, nicht mehr nur am Verfahren Beteiligter, sondern dessen zentrale Figur. Ihm stehen grundsätzlich alle Rechte eines Beschuldigten zu.
Der Verband hat somit auch ein Schweigerecht. Durch die Ausübung des Schweigerechts dürften allerdings die sanktionsmildernden Vorteile einer internal investigation grundsätzlich gefährdet sein, wenn der notwendige wesentliche Aufklärungsbeitrag dadurch verhindert wird. Dem Beschuldigten wird somit indirekt sein Schweigen vorgeworfen, was wiederum rechtstaatliche Bedenken aufwirft.
Der Verweis auf die StPO unterstreicht den eigenständigen Charakter des VerSanG-E gegenüber der Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG. Denn es gilt damit das Legalitätsprinzip, was durch die indikative Formulierung in § 3 VerSanG-E („wird […] verhängt“) verdeutlicht wird. Mit dem Legalitätsprinzip möchte der Gesetzgeber sicherstellen, dass das geltende Recht möglichst gleichmäßig und regelmäßig zur Anwendung kommt. Daran mag man aber durchaus berechtigte Zweifel haben, denn letztendlich sind es immer noch Menschen, die über die Anwendung der Vorschriften im Einzelfall zu entscheiden haben. Der neue Verfolgungszwang gilt allerdings nicht ausnahmslos, da der Verweis auch die entsprechende Anwendbarkeit der Einstellungsmöglichkeiten aus Opportunitätsgründen nach der StPO umfasst. Ergänzend dazu treffen die §§ 35 ff. VerSanG-E weitere verbandsspezifische Einstellungsgründe. Dadurch soll gewährleistet werden, dass in jedem Einzelfall eine sachgerechte Lösung gefunden werden kann.
6. Verbandssanktionenregister
Die heute bereits bestehenden Zentralregister sind nach der Auffassung des Gesetzgebers weder nach Inhalt und Zweck der Eintragungen noch nach dem Kreis der Betroffenen geeignet, auch die gegen Verbände nach dem VerSanG-E verhängten Entscheidungen zu integrieren. Daher sieht das VerSanG-E in Teil 6 die Einrichtung eines Verbandssanktionenregisters vor (§§ 54 ff. VerSanG-E). Das Register soll wie das Bundeszentral- und das Gewerbezentralregister beim Bundesamt für Justiz eingerichtet werden, so dass auf dort vorhandene Infrastruktur und Expertise zurückgegriffen werden kann. Die Abläufe (Meldung an das Zentralregister, Auskünfte aus dem Zentralregister) orientieren sich an den Regelungen für das Bundeszentral- und das Gewerbezentralregister. Eingetragen werden neben rechtskräftigen Entscheidungen über die Verhängung von Verbandssanktionen auch Bußgeldentscheidungen nach § 30 OWiG. Es werden gestaffelte Tilgungsfristen vorgesehen. Die regelmäßige Tilgungsfrist beträgt zehn Jahre. Hat das Gericht einen besonders schweren Fall (§ 3 Absatz 2 VerSanG-E) festgestellt, wird die Entscheidung erst nach 15 Jahren aus dem Register getilgt. Bußgeldentscheidungen nach § 30 OWiG werden bereits nach fünf Jahren getilgt.
III Ausblick
Der Gesetzesentwurf liegt nun bei den Bundesländern und Verbänden zur Stellungnahme. Diese können bis zum 12. Juni zu den obigen Inhalten Stellung nehmen. Zuvor angedachte Alternativen zu VerSanG konnten sich nicht durchsetzen – wie die Vorschläge der Unternehmensjuristen, das bestehende Ordnungswidrigkeitenrecht zu reformieren.
So dass VerSanG-E unverändert verabschiedet werden sollte, bedeutet dies zwangsläufig gewisse „Hausaufgaben“ für Unternehmen, deren Vorstände, Geschäftsführer, Compliance Officer, etc., denn es muss zukünftig noch mehr Augenmerk auf das permanente Vorhalten, Anpassen und Kontrollieren eines den jeweiligen Anforderungen genügenden CMS gerichtet werden. Jedes CMS besteht im Grunde aus denselben maßgeblichen Dreh- und Angelpunkten (vgl. z.B. den Prüfungsstandard des Instituts der Wirtschaftsprüfer IDW PS 980). Wichtig ist aber vor allem, dass sich diese Dreh- und Angelpunkte eines CMS nicht nur in Schlagworten auf der äußeren Hülle eines Unternehmens bewegen, sondern sich tief im Inneren des Unternehmens verwurzeln und so tagtäglich – in normalen wie in besonderen Zeiten – im ganzen Unternehmen „gelebt“ werden.
Bewusst und gewollt vom Gesetzgeber vorgegeben, tritt das VerSanG erst zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft und die Zeit sollte – insbesondere nach der Auffassung des Gesetzgebers – auch genutzt werden. Unternehmen, die dieses Thema vor sich hinschieben, könnten so ggf. wertvolle Zeit verlieren, um ihren Schutzschirm zu stärken.
Die Gedanken des VerSanG lassen sich zudem auch auf andere Compliance Bereiche übertragen, die nicht von ihm erfasst werden. Mit dem VerSanG wird quasi ein neuer „Gold-Standard“ gesetzt, der sich sicherlich auch im reinen Ordnungswidrigkeitenrecht entsprechend an der einen oder anderen Stelle angewendet wiederfinden wird. Nur diejenigen (natürlichen oder juristischen Personen) werden im Falle von begangenen Ordnungswidrigkeiten schonend behandelt werden, die sich entsprechend aktiv und frühzeitig um die eigene Compliance gekümmert haben. Compliance „lohnt“ sich daher, führt sie doch regelmäßig zu Bußgeldmilderungen bis zur kompletten Vermeidung solcher und weiterer negativer Folgen für natürliche und juristische Personen. Wer sicher in der Compliance steht und genau weiß was er tut, verfügt nach meiner Erfahrung über die robusteren, schnelleren, nachhaltigeren und so auch mittel- und langfristig kostengünstigeren Prozesse als das Unternehmen, dass z.B. eine schwache Compliance-Organisation bewusst oder unbewusst in Kauf nimmt.