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Hintergrund

Die USA verhängen bei Verstößen gegen ihre extraterritorial wirkenden und weltweit verfolgten Sanktionen drakonische Strafen oder „einigen“ sich vorher per „settlement“ auf bestimmte Maßnahmen in dafür geeigneten Fällen (Bußgelder, externe Aufseher, personelle Veränderungen im Management etc.). Die hohen Risiken, die sich daraus für EU ansässige Unternehmen ergeben können, sind leider so real wie die „America First Politik“ des abgewählten US Präsidenten Trump. Dieser Slogan ist zwar wieder in der Versenkung verschwunden, doch gelten alle US Sanktionen aus dieser Zeit im Grunde unverändert weiter. Eine Abkehr von deren Anwendung ist bis dato durch die neue US Regierung nicht gewollt.

So verwundert es nicht, wenn ein EU ansässiges Unternehmen, wie die Deutsche Telekom, die die Hälfte ihres Umsatzes in den USA generiert, ihre Geschäftsbeziehungen zur Niederlassung der iranischen Bank Melli in Deutschland schnellstmöglich kündigen wollte, da letztere auf einer schwarzen US Liste (SDN list) erfasst war und ist. Nach der einseitigen Aufkündigung des iranischen Atomabkommens (JCPOA) durch die USA unter Trump im Jahr 2018 wurde US-sanktionsrechtlich die Bank Melli über die sogenannten „secondary sanctions“ erneut „scharfgeschaltet“ für EU Unternehmen, denen damit jegliche Geschäfte mit diesen Personen nach US Recht verboten werden.

Die Bank Melli, die im Eigentum des iranischen Staates steht, wehrte sich und klagte gegen ihre außerordentliche Kündigung durch die Telekom in erster Instanz vor dem Landgericht Hamburg. Zur Begründung ihre Klage berief sich die Bank auf die EU Blocking VO (VO (EG) Nr. 2271/96 i.V.m. VO (EU) 2018/1100), dessen Art. 5 Absatz 1 es EU Unternehmen verbietet bestimmten US Sanktionen „nachzukommen“, wodurch die Kündigung der Telekom unwirksam bzw. nichtig sei.

Die Telekom änderte zwischenzeitlich ihre außerordentliche Kündigung in eine ordentliche Kündigung um, zu deren Einhaltung sie auch vom Landgericht verpflichtet wurde. Dabei wurde die ordentliche Kündigung von der Telekom nicht mit Gründen versehen, da die Telekom sich insoweit auf ihre unternehmerische Freiheit berief Verträge fristgemäß unbegründet kündigen zu dürfen. Das darüber hinaus gehende Begehren der Bank Melli zu einer Fortführung der Vertragsbeziehungen wurde dagegen vom Landgericht abgewiesen. Dagegen legte die Bank Berufung zum Oberlandesgericht in Hamburg ein, welches vor seinem Urteil (bis dato noch nicht erschienen) vier für das deutsche Gericht maßgebliche Auslegungsfragen zur Blocking VO – im Schwerpunkt zu dessen Art. 5 – dem EuGH vorlegte.

Dilemma

An dieser Stelle wird das ganze Dilemma der Blocking VO bereits deutlich. Für EU ansässige Unternehmen ist selbstverständlich, dass sich diese an die EU Sanktionen gegenüber dem Iran zu halten haben, die unter dem JCPOA gelten. Dies ist ein Muss und kein Wahlrecht. Ob sich EU ansässige Unternehmen darüber hinaus und insofern „freiwillig“ auch an die US Sanktionen gegenüber dem Iran halten möchten – aus welchen besonderen Gründen auch immer – oblag bisher der  alleinigen Entscheidung des Unternehmens und wurde von keiner EU Behörde reglementiert oder auch nur kommentiert. Art. 5 Absatz 1 der EU Blocking VO nimmt EU Unternehmen aber diese Freiheit und verhängt ein Verbot darüber bestimmten US Sanktionen gegen den Iran „nachzukommen“. Verstöße gegen dieses Verbot können nach dem deutschen Außenwirtschaftsgesetz mit bis zu 500.000 EUR Bußgeld pro Handlung geahndet werden.   Dies wären aber nicht die einzigen drohenden schmerzlichen Konsequenzen rechtlicher Art, die aus einem Verstoß gegen die EU Blocking VO erwachsen könnten.

Ausnahmegenehmigung mit hohen Hürden

Grundsätzlich bestünde für betroffene EU Unternehmen die Möglichkeit gemäß Art. 5 Absatz 2 der EU Blocking VO eine Ausnahmegenehmigung der EU Kommission zu beantragen. Gemäß dem EU Leitfaden der EU Kommission (2018/C 277 I/03) in Punkt 16 sind die Hürden für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung hoch. Eine Ausnahme ist demnach nur gerechtfertigt, wenn ansonsten ein „schwerer Schaden“ für die Interessen des Antragstellers oder der EU droht. Diese Einzelfallbewertung muss zudem ex ante also für die Zukunft und mit einem Blick auf eine „Glaskugel“ erfolgen, da das Handeln von US Behörden bei ermittelten oder freiwillig angezeigten Sanktionsverstößen nicht klar vorhersehbar ist. Alles in allem ist Art. 5 Absatz 2 der EU Blocking VO damit weniger ein Rettungsring als vielmehr eine Belastung. Dies ergibt sich auch aus dem aktuellen EuGH Urteil und der vorherigen polemischen Bemerkung seines Generalanwalts Hogan in seinen Schlussanträgen, dem der Fall ausdrücklich „keine Freude bereitete“, weil das Gericht den Worten des Gesetzgebers der Blocking VO Wirkung verleihen muss, welche „ein sehr grobes Instrument“ ist.

Überarbeitung der EU Blocking VO

Die EU Kommission hat offenbar aber den Unmut der EU Wirtschaft über die EU Blocking VO seit 2018 vernommen und so befindet sich diese derzeit in einem Konsultationsprozess für eine mögliche Überarbeitung. Vermutlich wird das neue EuGH Urteil auch dafür herangezogen werden. Eine Überarbeitung der EU Blocking VO könnte sicherlich zu Verbesserungen in seiner Anwendung führen. Der größte Mangel der VO liegt meines Erachtens jedoch darin begründet, dass die Ursache der extraterritorialen Anwendung der US Sanktionen eigentlich nur auf entsprechender politischer Ebene bearbeitet und gelöst werden kann. Ein stellvertretendes Bekämpfen dieses Problems – quasi auf dem Rücken der EU Wirtschaftsunternehmen mit einer zudem in der Praxis bisher nicht bewährten EU Blocking VO – halte ich dagegen für weniger geeignet.

Geplantes Anti-Coercion Instrument (ACI) der EU

Vielversprechender und zeitgemäßer als eine mögliche Überarbeitung der EU Blocking VO aus 1996 klingt daher die EU Initiative zu einem neuen Anti-Coercion Instrument (ACI) von Dezember 2021. Dieses Instrument sieht ein verhältnismäßiges mehrstufiges Verfahren vor. Auf politischer Ebene wird zunächst in einem Dialog mit den Verursacher-Ländern begonnen, von denen Zwang und handelspolitische Schutzmaßnahmen gegen die EU angewendet werden. So solche Dialoge ergebnislos bleiben, können Zölle, Kontingente und andere Maßnahmen gegenüber diesen Ländern von der EU angewendet werden.  Die geplanten Instrumente richten sich damit direkt auch an die richtigen Verursacher als Ziel und nicht wie die EU Blocking VO an EU Unternehmen, die es vorrangig als Betroffene von solchen Maßnahmen zu schützen gilt. So würden Betroffene auch nicht gegenüber den US Behörden, anderen Parteien oder der Öffentlichkeit bloßgestellt werden. Idealerweise sollte daher diese Anti-Coercion Instrument Initiative der EU Kommission die bestehende EU Blocking VO, wie auch deren Überarbeitung vollständig überflüssig machen, indem diese das Thema extraterritoriale US Sanktionen in seinen Anwendungsbereich auch miterfasst.

Weitere Kollateralschäden durch Sanktionen verhindern

EU wie US Sanktionen verursachen stets Kollateralschäden für die eigene Wirtschaft, diese Wirkungen sollten daher nicht noch weiter und unnötig vertieft werden. Die im Jahr 2018 reaktivierte EU Blocking VO von 1996 gab zu Trumps America First Zeiten ein trotziges politisches Signal zur Unabhängigkeit und zu mehr Selbstbestimmung der EU gegenüber den USA, wie auch zum Festhalten am JCPOA. Geholfen hat dies jedoch nicht das Dilemma der extraterritorialen Anwendung der US Sanktionen zu lösen – im Gegenteil, das Dilemma für EU Unternehmen wird dadurch nur noch größer, wie auch das EuGH-Urteil anschaulich zeigt. Die mittels der EU Blocking VO vom Verordnungsgeber propagierte wiedergewonnene Freiheit der unternehmerischen Entscheidung schaut nur auf eine Seite der Medaille, wohingegen global agierende Unternehmen aus komplexeren Risikogründen grundsätzlich alle Seiten der Medaille betrachten müssen. Der EuGH ist sich dessen bewusst und versucht mit seiner Entscheidung beide Seiten auf Basis der Blocking VO entsprechend ausgleichend zu berücksichtigen.

Die Entscheidung des EuGHs zur Blocking VO

Was hat der EuGH (C-124/20 vom 21.12.2021) vor dem Hintergrund eines zivilrechtlichen Verfahrens zum Kündigungsrecht der Telekom gegenüber ihrem vertraglichen Kunden der Bank Melli jetzt genau zur Auslegung der geltenden EU Blocking VO entschieden:

  1. Auf die erste Frage des vorlegenden Hamburger Gerichts, ob die Blocking VO nur gilt, wenn eine ausdrückliche Anordnung einer US-Behörde vorliegt, die die Einhaltung der einschlägigen US Sanktionen anordnet, hat der EuGH klar mit nein geantwortet.

    Das Verbot der Blocking VO in Art. 5 Absatz 1 sei weit gefasst. Die Blocking VO muss so ausgelegt werden, dass sie es EU Unternehmen unmittelbar verbietet, die einschlägigen US Sanktionen einzuhalten, auch wenn seitens der Verwaltungs- oder Justizbehörden der USA keine Anordnungen zur Einhaltung vorliegen.

  2. Die zweite Vorlagefrage, ob ein EU Wirtschaftsteilnehmer einen Grund für die Kündigung eines Vertrags mit einer von den einschlägigen US Sanktionen betroffenen Person angeben muss, hat der EuGH auch verneint. Jedoch tat es dies unter einigen Vorbehalten.

    Zunächst stellte der EuGH fest, dass es möglich sein muss die Einhaltung des Verbots des Art. 5 Absatz 1 sicherzustellen, damit die nationalen Gerichte in der EU die volle Wirksamkeit der Blocking VO in einem zivilrechtlichen Verfahren gewährleisten können.

    In Deutschland, wie auch in vielen anderen EU Staaten, liegt die Beweislast üblicherweise bei der Person, die behauptet, dass ein Vertrag zu Unrecht gekündigt wurde, z.B. um den einschlägigen US Sanktionen nachzukommen. Diese Beweislastregel ist für diese Person aber unmöglich oder nur sehr schwer zu überwinden, was die notwendige Wirksamkeit der Blocking VO gefährden würde. Aus diesem Grund kommt es nach dem EuGH zu einer Beweislastumkehr für die kündigende Partei, wenn der Beweis des ersten Anscheins (prima facie) darauf hindeutet, dass es keinen anderen Kündigungsgrund gab als damit den US Sanktionen nachzukommen.

  3. Auf die Vorlagefragen drei und vier, ob ein nationales Gericht im Falle einer nach Art. 5 Absatz 1 zunächst unwirksamen Kündigung, dennoch beschließen kann, dass diese Kündigung wegen eines ansonsten drohenden schweren Schadens für die kündigende Partei wirksam ist, insbesondere vor dem Hintergrund der Art. 16 und 52 der Charta der Grundrechte der EU, hat der EuGH geantwortet, dass es im Einzelfall einer genauen Abwägung und Verhältnismäßigkeitsprüfung dafür bedarf. Zu berücksichtigen sei dabei insbesondere aber auch, ob die kündigende Partei zuvor einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung bei der EU Kommission gemäß Art 5 Absatz 2 der Blocking VO gestellt hat oder nicht.

Weitergang des Verfahrens

Mit der EuGH Entscheidung wird das bestehende Dilemma für EU Unternehmen, die sowieso schon zwischen EU Recht und extraterritorialem US Recht gefangen sind, nur noch stärker unterstrichen. Für das weitere Verfahren liegt der Ball danach wieder im Feld des Oberlandesgerichts in Hamburg zur Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung im dortigen anhängigen Berufungsverfahren. Der finale Ausgang des Verfahrens ist daher noch völlig offen aber die Hürden für die Telekom dürften nach der EuGH Entscheidung hoch liegen, um im vorliegenden Einzelfall durch eine Abwägung die Wirksamkeit der Kündigung der Telekom gegenüber der Bank Melli juristisch über die Wirksamkeit des Verbots der Blocking VO stellen zu können. Dies gilt insbesondere, wenn die Telekom weiterhin nichts zu dem Grund ihrer Kündigung vortragen sollte.

Ausblick

Sollte die EU Blocking VO in naher Zukunft fundamental überarbeitet oder sogar vollständig von dem geplanten Anti-Coercion Instrumenten abgelöst werden, verlören dadurch die Entscheidung des EuGHs und die daraufhin noch ergehende Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg vermutlich an Bedeutung, was meines Erachtens als Entwicklung aus den vorstehenden Gründen zu begrüßen wäre. EU Blocking VO und die Anti-Coercion Initiative sind beide derzeit in Bearbeitung. Betroffene Unternehmen, deren Wirtschaftsverbände und Kammern etc. sollten diese Gelegenheit entsprechend nutzen damit das derzeitige Dilemma für EU Unternehmen aus einer Kollision zwischen EU und US Recht gelöst wird und nicht stattdessen oder zusätzlich noch weiteres Ungemach für EU Unternehmen droht.

Sollte die EU Blocking VO dagegen zukünftig unverändert bestehen bleiben, wird dies vermutlich zwangsläufig weitere gerichtliche Verfahren in der EU nach sich ziehen.  Die mögliche Richtung für juristische Ansatzpunkte wurde in den Schlussanträgen des Generalanwalts Hogan und dem Urteil des EuGHs meines Erachtens bereits angedeutet.